Das Kruzifix und die Nazis

Die folgende Geschichte haben jetzt Herr Ley und mein Vater aufgeschrieben:

Hermann Ley      Heinz Schwarz

Leubsdorf, April 2011
In unserer Schulzeit begann das neue Schuljahr nach Ostern. In meinem Heimatdorf   Leubsdorf bestand die Volksschule aus drei Klassen. Die Schuljahre 1 und 2, die Schuljahre 3,4 und 5, die Schuljahre 6, 7 und 8 waren in einer Klasse. 1941 waren alle Schüler katholisch. Die einzige evangelische Schülerin war zu Ostern entlassen worden. Unser Hauptlehrer Herr Göbel hatte immer einen Schüler aus dem achten Schuljahr, der jeden Tag dafür zu sorgen hatte, dass die Schule aufgeschlossen wurde. Jetzt war dies die Aufgabe unseres Mitschülers Hermann Le`y. Das Kruzifix in unserem Klassenraum war entfernt Worden, weil worden, weil Andersgläubige nicht provoziert werden sollten. So war mein Wissen.
Also machte ich meinem Mitschüler Hermann den Vorschlag wieder ein Kruzifix aufzuhängen, da ja jetzt nur noch Katholiken in unserer Schule waren. Der Nagel, an dem früher ein Kruzifix hing, war noch vorhanden. Hermann Ley zeigte sich einverstanden. Bei meiner Großmutter holte ich ein Kruzifix, ein schönes Kruzifix.
An einem Montag, dem Beginn einer neuen Schulwoche, war ich frühzeitig an der Schule, um ungesehen mit Hermann zur Tat zu schreiten.
Wir waren zu Ostern 1941 12 Jahre alt. Hauptlehrer Göbel schritt immer während der Unterrichtsstunde im Klassenraum von seinem Pult zu
den Schuljahrgängen. Dem Pult am nächsten waren die Schüler des 6en Schuljahres. Wir, die Schüler des 8en Schuljahres, waren am weitesten vom Pult entfernt. Beim Weg zurück von uns sah Herr Göbel das Kruzifix. Er wendete sich zu uns, war kreidebleich und stellte die Frage: wer war das.

Obwohl eine Mitschülerin uns erwischt hatte, meldete sich niemand. Das Kruzifix wurde abgehängt und ins Pult gelegt.
In der Pause gingen Hermann und ich zum Herrn Gabel und teilten diesem mit, dass wir beide das Kreuz aufgehängt hätten. Herr Göbel war Organist in unserer Kirche und Dirigent des Kirchenchores, ging also täglich in die Messe.
Er sagte zu uns: Kinder ihr wisst nicht, was ihr getan habt. 3 meiner Söhne sind Soldat. Zwei von diesen sind Offiziere und der jüngste ist Offiziersanwärter. Er war in großer Sorge um seine Söhne.
Offensichtlich fürchtete er Aktionen der Sippenhaft im Nazisystem.
Von einer Bestrafung für uns sagte er kein Wort.
Am nächsten Tag, Hermann Ley musste nach Schulschluss Herrn Göbel die Schlüssel zurückbringen, ging ich mit zu Herrn Göbel. Dieser fragte mich, was ich denn wolle. ich sagte: ich will das Kreuz wieder haben.
Ich konnte das Kreuz mit nach Hause nehmen.