„Vollendeter ungesetzlicher Grenzübertritt über die Seegrenze mittels Faltboot“

„Flucht aus der DDR über die Ostsee“ oder ähnlich lautete der Titel einer Ausstellung der Birthler-Behörde, die wir im Juli 2005 in Peenemünde besucht haben.

Ich fand das sehr eindrucksvoll, teilweise ebenso bedrückend.

Eindrucksvoll war für mich der Mut, den die Flüchtlinge aufgebracht haben und der Erfindungsreichtum bei der Herstellung der unterschiedlichsten Fluchtmittel.

Bedrückend waren die harten Strafen, die für Republikflucht, vollendet oder versucht, dokumentiert waren und daß Leute bis in den Tod den Weg aus der DDR gesucht haben.

Insoweit das Faltboot als Fluchtmittel erwähnt war, gebe ich die Ausstellung hier wieder. Der folgende Text ist, wenn nicht kursiv, der Text der Ausstellung.

Das Dokument, das diesem Beitrag den Titel gegeben hat:

  • Mit dem Faltboot durch den Nebel

Nach vergeblichen Ausreisanträgen entschließen sich der Möbeltischler Andreas L. und die Friseuse Sabine L. aus Leipzig zur Flucht über die Ostsee. Mit diesem Faltboot flüchtete das junge Ehepaar in der Nacht zum 26. Juni 1988.

Das Boot aus der Ausstellung:

Ausrüstung und Vorbereitung

Das zweisitzige Faltboot Kolibri IV kaufen sie in einem Sportwarengeschäft, doch Paddel gibt es nicht. Andreas L. muss sie selbst bauen. Erst der zweite Versuch gelingt. Ein kleiner Handkompaß und eine Straßenkarte komplettieren die Ausrüstung. Auf dem Schwielowsee bei Berlin trainieren sie für die Flucht.

Die selbstgebauten Paddel:

Warten auf günstiges Wetter

Anfang Juni 1988 bauen sie auf dem Campingplatz Meschendorf ihr geräumiges Zelt auf. Dort verstecken sie ihr zerlegtes Faltboot. Während sie auf ruhiges Wetter und Nebel warten, erkunden sie die Bewachung der Seegrenze. Sie stellen fest, dass sie zwischen zwei Beobachtungstürmen – dem Meschendorfer und dem von Kühlungsborn West – hindurch müssen. Am letzten Urlaubstag herrscht endlich Fluchtwetter: Nebel und spiegelglatte See.

Im Schutz des Nebels über die Ostsee

25. Juni 2988, 2.00 Uhr: Andreas und Sabine L. legen von der Küste bei Kühlungsborn ab. Sie steuern Richtung Nordwest. Ihr Ziel ist Staberhuk/Fehmarn. Nach einiger Zeit hören sie Motorengeräusche. In der Dunkelheit sehen die Flüchtlinge nur schemenhaft ein Schiff ohne Positionslichter. Ein starker Scheinwerfer leuchtet die See ab. Die Nerven der beiden sind zum Zerreißen gespannt. Ein Lichtkegel erfaßt sie. Sie glauben sich entdeckt, paddeln trotzdem weiter. Langsam passiert hinter ihnen das Wachschiff. Aufatmen, beruhigen. Am Morgen sehen die Flüchtlinge Fischereizeichen, hören Nebelhörner und verschiedene Motorengeräusche. Kurze Zeit später taucht aus dem Nebel ein Angelboot auf. Dem Fischer erzählen sie, woher sie kommen. Er rät ihnen, auf der Position zu bleiben. Währenddessen fährt der Fischer zum Seenotrettungskreuzer der DGzRS >>J.T.Essberger<<, den er ganz in der Nähe weiß und informiert die Crew.

In Sicherheit nach 9 Stunden

Um 10.58 nimmt die Crew der >>J.T.Essberger<<, 5 sm südöstlich von Großenbrode, die Flüchtlinge Sabine und Andreas L. mit ihrem Faltboot an Bord. In 9 Stunden paddelten sie 20 sm ((ca. 37 km) über die Ostsee.

  • Faltboot in originalen Packtaschen.
    Das Foto wurde vom MfS als Schulungsmaterial aufgenommen. Vom Transportpolizist bis zum freiwilligen Helfer der Grenztruppen sollte jeder wissen, dass sich in dieser Verpackung kein Zelt, sondern ein Faltboot verbirgt.
    Foto: Archiv BSTU

  • Ein Wachschiff der Grenzbrigage Küste entdeckte W.S., als er am 17. September 1987 mit seiner Segeljolli >>Kolibri<< Richtung Gedser steuerte.
    Foto: Archiv BSTU

  • Eine Grenzstreife entdeckte am 28. März 1986 in einem Gebüsch bei Markgrafenheide dieses Faltboot. Die Grenzer lauerten dem Flüchtling auf und nahmen ihn fest.
    Foto: Archiv BSTU

  • Ende der 60er Jahr rettete die Besatzung des Feuerschiffs Gedser Rev auch diese beiden jungen Männer mit ihrem Faltboot.
    Foto: Nils Gartig, Gedser

  • Die Ausstellung hatte auch eine große Tafel mit bekannten und unbekannten Todesfällen. Bei diesen Personen wurde als Fluchtmittel das Faltboot benannt. Ich habe die Namen abgekürzt. Sie waren in der Ausstellung ausgeschrieben.

    + KPEE
    24.9.1942 – 13.4.1962
    ertrunken bei der Flucht mit dem Faltboot
    + KG
    25.9.1941-13.04.1962
    ertrunken bei der Flucht mit dem Faltboot
    + CG
    gestorben am 13.4.1962
    ertrunken bei der Flucht mit dem Faltboot
    geborgen auf Fehmarn
    + UB
    26.02.1949 – 10.9.1979
    + MB
    8.2.1960-10.9.1979
    geborgen an der Küste Rügens
    im Sturm kenterte der Faltboot-Katamaran der Familie B.